Donnerstag, November 29, 2007

Homo Scare oder Herr Kleinschmidt regt sich auf

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Was der Rolling Stone mit dem prominenten und unkommentierten Abdruck eines auf unterstem Niveau schwulenfeindlichen Leserbriefs von einem gewissen Thomas Kleinschmidt beabsichtigte, kann man nur vermuten. Weitere Leserbriefe anregen? Freie Meinungsäußerung? Wenn man sich das Blatt so anschaut, wendet es sich sehr eindeutig an den weißen, heterosexuellen Mann im besten Alter, der auf "ehrlichen" Rock steht, und sich gern mal das eine oder andere junge hübsche Ding weiblichen Geschlechts anschaut - was im Idealfall auch hübsch singen und ein bißchen klampfen kann. Und man geht auch ein bisschen mit der Zeit mit und versucht das nachwachsende, im Zweifelsfall ebenfalls männliche Indie-Publikum am Rande abzuschöpfen.


2
Zum ersten mal brachte Klaus Walter im Zusammenhang mit den Go-Betweens vor einigen Zeiten einen Artikel zum Thema Gender ein. Aus berufener Quelle (nicht Walter) weiß ich, dass es der Kampf eines bestimmten Redakteurs war, den Artikel durchzusetzen, obwohl sich Walter seit Jahren als einer der hervorragendsten Schreiber zum Thema populäre Musik bewiesen hat. Hatte natürlich alles nichts mit dem Thema zu tun. Ebenso wenig wie es nie irgendwas mit meinem Geschlecht (weiblich) zu tun hatte, als ein bereits angekaufter Artikel von mir kommentarlos nicht gedruckt wurde. Alles Zufall, ebenso wie die Tatsache, dass in der Redaktion bis auf eine Frau, die nach unbestätigter Quelle angeblich die Freundin des stellvertretenden Chefredakteurs ist, ausschließlich männlich besetzt ist - bei sieben schreibenden Redakteuren und vier zusätzlichen festen Autoren (über die sexuelle Orientierung der Herren kann man nur wieder Mutmaßungen anstellen).


3
Nun gab es in der letzten Zeit einige schwule Musiker, die mit ihrer sexuellen Orientierung auch offensiv umgehen, sich klar in der schwulen / queeren Kultur verorten. Und die soweit zu Prominenz gelangten, dass auch der Rolling Stone an ihnen nicht vorbei konnte. Rufus Wainwright bekam sogar schon einen Titel und mehrere große Berichte. Jetzt mußte sich Herr Kleinschmidt mal darüber aufregen. Und der Rolling Stone mußte es abdrucken - und konnte sich des heimlich oder auch offen hämischen Beifalls von Teilen der Leserschaft sicher sein. Ob sich denn der Rolling Stone jetzt denn seit neuestem an ein homosexuelles Publikum wende, fragt sich der Kleingeist, äh Kleinschmidt. Wenn er so undistanziert über die "selbstverliebte Kirmesschwulette" Wainwright schreibe. Oder über Patrick Wolf. Ersterer käme ja beim homsexuellen Publikum übrigens auch gar nicht so gut an, wie Kleinschmidt "nur zu gut weiß". Wie, Herr Kleinschmidt, wollen sie damit andeuten, sie seien selber schwul, oder kennen zumindest einen Schwulen? Oha.


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Und es gehe ja auch gar nicht um die Musik, zumindest nicht so sehr (also doch auch ein bißchen), sondern um die "völlig undistanzierte Herangehensweise". Ach so, der 100 000. Artikel über "echte Männer" wie die Musiker von Led Zeppelin, den Stones oder Bruce Springsteen hakt immer kritisch nach und hält dem Kult entgegen. Da muss ich mal genauer lesen, das war mir auch noch nicht aufgefallen. Oder sind schwule Künstler nur dann akzeptabel, wenn sie in ihre Schranken gewiesen werden. Nach dem Motto: Ich habe ja nichts gegen Schwule, solange sie nicht in irgendwelchen prominenten Positionen (no pun intended) sind. Oder die schwulen Musiker nur für andere Homos spielen (wieso sollte sich die Zeitschrift plötzlich sonst an ein homosexuelles Publikum wenden?). Da fällt mir nur das Stichwort "Ethnopluralismus" ein - wir haben nichts gegen Schwarze, solange sie zu Hause (wo immer das ist - wahrscheinlich Afrika in deren Denkweise) bleiben.


P.S.
Dass Jann Wenner, Gründer und Herausgeber des US-amerikanischen Rolling Stone, mit dem der deutsche so lose verbandelt ist, sich nach langen Ehejahren mit einer Frau für das Zusammenleben mit einem Mann entschieden hat, ist übrigens eine allseits bekannte Tatsache. Vielleicht wollte man sich ja bei dem anbiedern, Herr Kleingeist? Ihr Leserbrief hat das alles zunichte gemacht. Aber vielleicht ist ja Wenner in Ihren Augen auch keine "Kirmesschwulette", weil er mit seiner Neigung nicht so hausieren geht, sondern sie, wie es sich doch für Perversionen gehört, so weit man ihn läßt im Stillen auslebt und - Gott bewahre - erst recht keine Promiskuität propagiert.


2. P.S.
Wo wir gerade bei den klassischen Linien der "zufälligen" Diskriminierung sind: Die angegeben Lieblingsbands der Redaktion sind, wie man es klischeemäßig erwartet, fast ausschließlich weiß und männlich. Zwei, drei geschlechtlich gemischte und mit den Specials eine gemischt"rassige" Band, mit Yma Sumac eine Frau (interessanter Weise aus dem Exotica-Bereich), dann noch vereinzelt die schwarzen Klassiker James Brown, Hendrix als Gitarrenheld natürlich und der Quoten-Jazzer der Rocker, Miles Davis, außer den großen Geheimnisvollen Morrissey und Bowie auch keine bekannt schwulen Musiker (Scott Walker als Schwulen-Ikone, o.k.). Alles zusammen unter zehn Prozent der genannten Bands. Und Compiler Ulli Pfleger allein hebt den Prozentsatz dabei erheblich. Das man lieber die Beatles und die Stones dreimal in seine Liste nimmt und, wenn man sich schon nur auf Klassiker bezieht, solche Alben wie Joni Mitchells "Blue" oder Patti Smiths "Horses" vergisst ist natürlich Zufall, von Aretha Franklin nicht zu reden. Genau wie die Tatsache, dass man im Rockkanon nach bekannten Frauen wie nach der Nadel im Heuhaufen suchen muss. Laura Nyro, Tina Turner, von der sich Herr Jagger ebenso wie vom schwulen und schwarzen Little Richard die Show abgeschaut hat? Oh, da haben wir nicht dran gedacht. Zufällig.


3. P.S.
Gerade dachte ich nochmal über die Tatsache nach, dass ja der Rolling Stone und ähnlich gestrickte Musikzeitschriften zu den wenigen gehören, die zumeist Männer auf dem Titel haben. Ansonsten räkeln sich ja auf den Magazincovern zumeist hübsche junge Frauen - in der Hoffnung, dass der männliche Käufer stimuliert wird und glaubt, der Richtige für so eine Dame zu sein, und die Frau sich mit ihr identifiziert, sie als Ideal sieht. Wenn das mal nicht so ist, nun ja. Auf der Brigitte - eine explizite Frauenzeitschrift - darf die Dame dann auch mal über 25 sein und somit nicht mehr sexuell attraktives Ideal. Schon mit seinen Covern positioniert sich der Rolling Stone als Männerzeitschrift.

Und dann fiel mir ein, dass sich in Männerbünden und stark patriarchal geprägten Gesellschaften immer eine besondere Homophobie entwickelt, weil die in solchen Zusammenhängen immer mitschwingende Homoerotik nie zur Homosexualität werden darf - deshalb muss letztere tabuisiert und sanktioniert werden. Dafür können sich allerdings in solchen gleichgeschlechtlichen Bünden die Männer vom Zwang, sich heterosexuell geben zu müssen befreien und sie können auch ihre "weiblichen" Seiten zulassen. So können sich türkische Männer zur Begrüßung zärtlich küssen, ohne Angst, für "Schwuchteln" gehalten werden. Somalische Männer halten sogar Händchen als Zeichen tiefer Freundschaft - auf homosexuelle Handlungen besteht in ihrem Land noch die Todesstrafe. In der Rockmusik darf man sich dann auch gern ein bisschen schwuchtelig geben, solange man sich in Affären mit Frauen wieder als echter Hetero-Hengst bestätigt.

In den "aufgeklärten" westlichen Kulturen ist diese Sanktionierung nicht mehr offen machbar - ebensowenig wie offene Frauenfeindlichkeit, um die Pfründe und die Macht zu erhalten-, aber abschalten lassen sich diese Mechanismen auch nicht von heute auf morgen. Und ob (Hetero-)Mann das will, ist auch nicht nur sehr persönlichkeitsabhängig, sondern läßt auch auf den Reflexionsgrad schließen. Der erste Schritt ist die Anerkennung der strukturellen Diskriminierung, die schon schwer fällt, und dann sind wenige Menschen so gut, dass sie aus Verständnis und Respekt Macht abgeben. Richtig machts da der US-amerikanische Männerforscher Michael Kimmel, der den Männern versucht klarzumachen, dass auch sie davon profitieren können, wenn sie sich vom traditionellen Männerbild verabschieden - die berühmte Win-Win-Situation. Wäre zum Beispiel Homosexualität gesellschaftlich voll akzeptiert, hätte sich Herr Wenner nicht so schwer tun müssen, als er sich in einen Mann verliebte und allgemein die Freuden des Sex mit Männern entdeckte. Dann hätte auch Herr Kleinschmidt mehr Raum zum Ausprobieren und müßte keine Verkrampfungen entwickeln.

4. P.S.
Sehr interessant ist auch die unterschiedliche Wertung der aggressiven Zurschaustellung von Sexualität, wie sie ja zum Rock'n'Roll gehört. Zumindest zum Rock als Hort der heterosexuellen Männlichkeit. Bei Mick Jagger und Co. gilt es als cool und hebt den Status. Schwule wie Wainwright, die ihre Sexualität in den Mittelpunkt stellen, sind "selbstverliebte Kirmesschwuletten" (wie selbstverliebt ist eigentlich Jagger?). Und bei Frauen gilt immer noch die Dichotymie Honky Tonk Angel / Ehefrau, mit ein paar Variationen vielleicht. Sexuell aggressive Frauen werden zwar als reizvoll (und /oder zugleich beängstigend) wahrgenommen, ernstgenommen werden sie deshalb noch lange nicht und gelangen schnell in den Schlampenstatus. Außer Madonna hat sich interessanter Weise bisher auch noch keine sich wirklich dominat gebende Frau durchgesetzt, obwohl dieser Typus - das Alpha-Weibchen - in der Wirtschaft gerade hoch im Kurs ist. Eine Frau nicht in ersten Linie als Frau sondern als Musikerin wahrzunhehmen funktioniert selten bis gar nicht. Sie muss zunächst in ein Schema von Weiblichkeit passen, was sie interessant macht. Dazu gehört es, jung zu sein.

Das sieht man sehr gut an den Covern des deutschen Rolling Stone: Dieses Jahr waren neben Régine Chassagne von Arcade Fire, die gemeinsam mit Freund (Ehegatten?) und Bandchef Win Butler zu sehen war ganze zwei Frauen abgebildet: Amy Winehouse und M.I.A.. Besonders letztere unbestritten musikalisch äußerst interessant, aber beide vor allem jung und sexuell äußerst aufregend. Bei den Männern gibt es tendenziell eher die Variationen von zehn Klassikern: Beatles, Stones, Led Zeppelin...Im vergangenen Jahr haben sowohl Patti Smith als auch Joni Mitchell Alben veröffentlicht, bei letzterer war es besonders bemerkenswert, weil sie sich schon aus dem Business zurückgezogen hatte und von der Starbucks-Kette überredet wurde, doch noch mal aufzunehmen. Aber zunächst war sie mit ihren spinnerten Ansichten wahrscheinlich zu anstrengend (die Frau hat einen Standpunkt und faselt nicht nur Blasen, um die Seiten zu füllen), aber vor allem geht natürlich eine Oma auf dem Cover gar nicht.

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Freitag, November 16, 2007

Ich bewege meinen werten Hintern...

..ja auch mal vom Rechner weg und war letzlich zwei Tage in Hamburg. Mit der Mitfahrgelegenheit, mit der ich bisher nur gute Erfahrungen gemacht habe. Aber irgendwie macht es mich doch nervös, zu wildfremden Leuten ins Auto zu steigen. Aber die Bahncard ist alle und die Fahrt (eine!) kostet inzwischen fast 40 Euro. Danke.



Eigentlich wollte ich mir nur Luzi anschauen (mehr Fotos hier, eine rudimentäre Review, die ich am Tag danach mehr als Gedächtnisprotokoll geschrieben habe, arbeite ich vielleicht am Wochenende endlich auf, sie ist dann auch dort zu finden).

Mußte dann wegen der bescheidenen Zugverbindungen zurück, die abgesehen davon eh unbezahlbar gewesen wären dableiben. Was aber zweifach gut war: Ich habe bei sehr lieben Freunden von Freunden Unterschlupf gefunden, bei denen ich mich so einfach nicht getraut hätte zu fragen, ob ich vorbeikommen darf. So war es auch schön, sie zu sehen.

Am Tag danach habe ich dann bei NDR-Info vorbeigeschaut, weil ich für den Nachtclub ab und zu was gemacht hatte und mich auch mal persönlich da sehen lassen wollte. Endgültig angetan war ich war ich das Zimmer vom Chef betrat und sah: Da sind echte Musikfreunde. Da sieht's aus wie bei mir. Ein wenig zu irritieren scheint es sie schon, denn Frau Gobelin erwähnte am Telefon schon als erstes die CD-Berge. Aber sie stehen dazu, so wie ich auch, wenn ich Besuch habe. Wahre Leidenschaft ist nicht peinlich.


Foto: Barbara Mürdter

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Warum ist der Indierock so käseweiß geworden?

Durch einen Artikel in der taz bin ich auf einen im New Yorker aufmerksam geworden. Sapnnende Frage: Why has Indie-Rock lost its Soul? Der werde ich am Wochende mal nachgehen.

Gerade noch zwei relevante Texte dazu gefunden, das scheint in den englischsprachigen Feuilletons richtig hochgekocht zu sein:

Hmm, getroffene Hunde bellen. Sagte meine Mutter immer und manchmal hatte sie ja auch Recht. Interessanter Anlass zu einer aktuellen Bestandsaufnahme und Metabetrachtung allemal.

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Samstag, November 10, 2007

"Der Hipster als philosophischer Psychopath"