Montag, Oktober 06, 2008

Spagat oder Beine breit für den Kommerz: Det is aus Radio 1 jeworden

Eigentlich darf ich ja froh sein, dass ich jetzt in Berlin rund um die Uhr (wenn auch in Wiederholungen) recht gute Musik und aktuelle lokale und überregionale Kulturinfos auf einem öffentlich-rechtlichen Sender wie Radio 1 hören darf. Auch wenn ich zunächst geschockt war, wie angepasst der Sender geworden ist, kann ich inzwischen mit dem Spagat zwischen Anett Louisan und Robert Wyatt auf Heavy Rotation leben. Nur die Heavy Rotation mit einem Song, der aktuellen Single, nervt - auch beim über alles geliebten und verehrten Wyatt.

Und dann fragt man sich, welche Anett Louisan-Fans man als Radio 1-Hörer/innen gewinnen will. Ein Spagat hat schließlich seine physischen Grenzen, und hier im übertragenen Sinne gibt es eben geschmackliche. Im Zweifelsfall vergrault man eher Leute als welche zu gewinnen.

Früher hatte ich immer das Gefühl, dass die sich einen Jux drauß machen, einmal am Tag Phil Collins einzusetzen, oder auch Chris de Burgh, der heute immerhin noch in Höxter die Stadthalle füllt. Man merkt noch immer, dass da Leute am Werke sind, die Ahnung von Musik haben und auch Geschmack, hat aber das Gefühl, denen geht der Arsch auf Grundeis. Es wird auf altbewährte Indie-Hits vertraut, die ich vor 10 Jahren aufgelegt habe und die damals zum Teil schon nicht mehr neu waren. Und auf alte Recken - was auch interessant sein kann, aber nicht muss, wenn mans nur für die Quote macht.



Was richtig nervt, ist eine ekelhafte und journalistisch eingentlich komplett unverantwortliche Hofberichterstattung bei durchaus kritikwürdigen "kulturellen" Projekten wie der neuen O-2-World und der Popkomm.



Als die O-2-World (wie bescheuert sind eigentlich diese Namen, nicht zu Reden vom Programm) eröffnet wurde, wurde in den Verkehrsmeldungen von Demonstrationen berichtet, ansonsten wurden tolle Konzerte von Herbert Grönemeyer, Metallica und Leonard Cohen (definitiv die besten Programmpunkte) dort angepriesen, die Radio 1 mit präsentiert. Ohne Kommentar und uneingeschränkt euphorisch. Dass das ganze Viertel in Aufruhr war, wurde völlig verschwiegen. Nur ein Moderator machte mal einen harmlosen, unterschwellig sarkastischen Spruch und wies auf das H-4-World Schild (s. unten) hin, das auf der anderen Brückenseite am Ostbahnhof angebracht wurde - "Det is Berlin.". Gab wahrscheinlich gleich eine Abmahnung.



Jetzt zur Popkomm gibt es penetrante, uneingeschränkt positive Werbung für das Industrieevent, anstatt einer leidlich objektiven, eben auch kritischen, journalistischen Berichterstattung. Natürlich arbeiten die mit denen zusammen und auch ein totales Bashing wäre plump, aber so ist das auch derart billig, dass man sich fragt, ob die sich die Gebühren nicht lieber vom Veranstalter holen sollten. Oder gleich der Imperativ.

Leider bin ich technisch noch nicht soweit ausgestattet, und die noch nicht soweit, dass sie topaktuell außer für Hamburg sein können - ansonsten würde ich nur noch Byte,.fm hören. Denen würden Gebühren sicher auch helfen, ein (noch) besseres Programm zu machen. Von irgendwas muss auch der idealistische Mensch ja leben.

Apropos: Hier kann man übrigens für Byte.fm spenden. Die arbeiten alle ehrenamtlich, kriegen außer über Spenden und (wenige) Sponsoren, die sich unaufdringlich verhalten sollen, keinerlei Unterstützung von außen. Bisher haben sie auch noch den idealistischen Anspruch, keine Werbung zu schalten. Was ja das Hören und den Anblick der Webseite angenehmer macht. Lohnt sich für ein Top-Programm von Leuten für Leute, für die Musik Leidenschaft bedeutet und nicht Begleitgedudel.

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