Donnerstag, Juli 20, 2006

Deutsche Leitkultur

Ich versuche ja wo möglich schlechte Musik und simple Geister zu vermeiden. Aber manchmal ist es einfach nur geile Realcomedy. Besser als zum Beispiel Gunter „Sohn aus dem Volk“ Gabriel oder Daniel „Spreewaldgurke“ Küblböck und seine Fans starring as themselves könnte es kein Parodist.

Gestern waren die Stones in der Stadt. Für die campt wohl mittlerweile keiner mehr vor den Veranstaltungssorten, schließlich sind die Fans mittlerweile auch zumeist in gesetzterem Alter. Aber dafür campten bei uns gegenüber vor der Veranstaltungshalle einige Schülerinnen und Mütter. Grund: In drei Tagen tritt hier besagter Küblböck auf. Wer vergessen hat, wer das war, denke an Deutschland-sucht-den-Superstar vor einigen Jahren oder den Gurkenlaster, in den der Knabe reingerasselt ist, um mal wieder Schlagzeilen zu kriegen – am Ruf war eh nichts mehr zu ruinieren.



Man glaube es oder nicht: Die Damen sitzen jetzt allen Ernstes geduldig bis Samstag abend vor dem Eingang und warten. Ihre Karten für 50 Euro (!!!) haben sie mit Sicherheit längst erstanden, ist meines Wissens nach auch ausverkauft. Jetzt gehts wohl um die Liste, in die man sich eintragen muss, wenn man in der ersten Reihe stehen will. Das wird dann auch streng eingehalten. Gibt es sonst Zickenkrieg? Ich frage mich auch, wie die das regeln, wenn heute abend erst mal eine andere Veranstaltung stattfindet. Da muss man nämlich genau durch die Tür rein, vor der die pennen. Ob die Nachwache schieben und reihrum schlafen? Was machen die bei Gewitter? Hart sind sie ja offensichtlich. Was haben die sonst für Probleme? Vielleicht mache ich nachher noch ein Interview mit ihnen....Aber so richtig sicher schienen sie sich selbst nicht zu sein, wie cool sie nun wirklich sind. Jedenfalls wollten sie sich nicht so richtig fotografieren lassen, obwohl ich höflich war und meine Meinung zu ihrem Star nicht zum Besten gegeben habe. Ahnten sie etwa was?

Bin sehr gespannt auf die Pressekonferenz (!!!) am Samstag von uns Daniel, die in unseren Vereinsräumen stattfindet. Er hat ja jetzt erkannt hat, dass im Leben doch nicht alles so einfach ist und schreibt jetzt sensible Songs über sein Innenleben. Ich habe vorhin mit einem Bekannten diskutiert, ob ich mich für Geld und die gesteigerte Aufmerksamkeit meiner Mitmenschen so zum Klops machen würde. Das Geld würde ich wohl nehmen...

Richtigen Trash, der teilweise auch weh tat, habe ich mir am Sonntag freiwillig angetan. Da war Gunter Gabriel in der Stadt, auf einem Straßenfest. Eigentlich sollte er der Headliner am Samstag sein. Aber da ist ihm eine dringende Fernsehaufzeichnung dazwischen gekommen, wie er gleich als Erstes bekannt gab. Mit seinem alten Freund „Biene Maja“-Karel (der lebt noch?) und so. Er kam eine halbe Stunde zu spät, just vom „Airport“ (und das als Vorkämpfer für die deutsche Sprache im countryesken Schlager?).



Er hatte es sich ja grad vor einiger Zeit mit seinem Zielpublikum (soweit nicht schon in Rente) verdorben, als er sich despektierlich über Hartz-IV-Empfänger geäußert hatte. Das versucht er jetzt wettzumachen, indem er beteuerte, er hätte nichts gegen die Leute, sondern nur gegen Herrn Hartz selber. Überhaupt wetterte er über die Bosse, die neumodischen Werte, der Jahrgang 42 sei eh der Beste, davon könne man doch nur lernen. Dann jammerte er ausführlichst über sein eigenes Schicksal als einstiger Schlagerstar, der sogar in der Hitparade auftreten durfte (aber natürlich ist er kein Schlagerfuzzi wie Roy Black oder Roberto Blanco). Jetzt hätte er nur noch Schulden, aber weltliche Güter machen ja auch nicht glücklich. Dem Gerichtsvollzieher, der ihn letztlich besuchte musste erst mal beibiegen, dass es das größte Glück der Erde ist, in einem Hausboot zu leben und nichts zu haben außer alle Elvis-Presley- und Johnny-Cash-Platten. Ist für Herrn Gabriel ja auch alternativlos. Als der Gerichtsvollzieher es dann endlich kapiert hatte und geläutert war, war er mit uns Gunter auch gleich per du.

Publikumskontakt pflegte Gabriel unter anderem dadurch, dass er einen armen Spinner vor der Bühne (der sicher auch irgendwo selbst Schuld war) die ganze Zeit zur Belustigung des Restpublikums erniedrigt hat, und das dann immer mit einem großzügigen: „Hej komm, ich mag dich. Du bist ein Original.“ zu kompensieren versuchte.




Gabriels „alter Kumpel“ Johnny Cash wurde, wie nicht anders zu erwarten, ohne Ende strapaziert. Und natürlich Deutschland! Fing gleich damit an. Er wär letztlich von Hamburg nach Hannover auf der Autobahn (wo sonst, außer „Airport“) unterwegs gewesen. In Hamburg hatte er noch keinen Song, danach hatte er, inspiriert von derzeitigen schwarz-rot-goldenen Randstreifen, seinen neuesten Hit geschrieben. Einen Mitklatscher und -gröler namens „Lasst die Fahnen auf dem Dach“ oder so. Kam dann auch gleich dreimal zu Einsatz, damit die Leute sich die Single auch ja kaufen. Und kam auch super an na klar, interessanter weise nicht bei allen, weil das schon seine Fans waren, von der älteren Dame, die sich einen der „Supersongs“ wünschte, die Gunter geschrieben hatte („Die Frauen wünschen sich immer die kitschigen Lieder“), bis zum Jungspund, der Gabriels Texte besser kannte als er selbst. Jedenfalls holte er den Trumpf dann zum Ende der Schau aus der Tasche: die Deutschlandgitarre. „Die habe ich nicht erst seit jetzt, sondern schon seit 1972. Alle haben deshalb immer gesagt, ich bin ein Nazi.“ Jetzt nicht mehr, jetzt darf er wieder hemmungslos und hat ja immer schon Recht gehabt, unser Sohn aus dem Volk. Nur mit den Hartz-IV-Empfängern sollte er in Zukunft sensibler sein. Sonst hat er nämlich bald außer Rentnern keine Fans mehr.

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