Donnerstag, Juli 06, 2006

Panteón Rococó



Es war groß! Eines der besten Konzerte, die ich je gesehen habe, ungelogen. Heiß wie im Backofen, und maximale Luftfeuchtigkeit. Bis dahin hätte ich noch behauptet, ich bin zu alt für solche Scherze. Dass die Musiker von Panteón Rococó aus Mexico City und die ca. 500 Besucher in der 60er-Jahre-Halle der Faust innerhalb kürzester Zeit klatschnaß waren, war dann für alle aber völlig nebensächlich. Einige Jungs meinten sich entschuldigen zu müssen, weil sie mit freiem Oberkörper rumliefen – aber wenn das nicht etwas mißverständlich rüber gekommen wäre hätte ich das genauso gemacht.



Was die neun Musiker da auf der Bühne lieferten, hatte so viel Energie, dass einfach alle tanzen mußten zu diesem Ska-Latin-Rock-Cumbia-was-auch-immer Mix. Hunderte Hände reckten sich begeistert in die Luft, überall ekstatische Gesichter – unglaublich. Und dabei nicht ekelig ferngesteuert wie bei irgendeiner Mainstream-Massenverarsche.



Die Musiker selber waren völlig dabei. Sind bis auf die hintere Reihe (eine ganze Batterie von Drums, Percussion, Bass) zumeist wie angestochen über die Bühne gesprungen, vor allem der Sänger Luis und der Saxophonist Missael. Dazu gabs noch zwei Gitarren, einen Trompeter und einen Posaunisten. Der Sound war eher für eine Freiluftbühne mit 10.000 Zuschauern als für die kleine Halle geeignet. Das Klima passte schon.

César García an der Trompete und Paco Barajas an der Posaune

Den schönen Missael habe ich nach der Show im Sommergewitter draußen vor der Tür noch mal kurz getroffen: Er hatte selber leuchtende Augen und war noch ganz begeistert von der Party, obwohl er das jeden Abend erlebt. Und hat sich einfach total gefreut auf Tour in Europa zu sein und Land und Leute zu sehen. Er meinte, dass sie lieber in kleineren Clubs spielen – auch wenn die Faust das letzte mal ausverkauft war und dieses Mal trotz Fußball und schwülwarmem Wetter auch fast.

Der schöne Missael

Schade war nur, dass wahrscheinlich nur ein Bruchteil der Leute verstanden hat, was der Sänger, der gern mal in Ska-Manier mit hochgezogenen Beinen über die Bühne sprang auf Spanisch sagte und sang. Er kann zwar Englisch, hatte da aber offenbar keinen Bock drauf und sprach genauso selbstverständlich wie viele englischsprachige Musiker in seiner Muttersprache auf das Publikum ein.

Sänger Luis

Schade deshalb, weil die ja auch was zu sagen haben. Die kommen aus der mexikanischen Ska-Bewegung, die sich 1994 zur gleichen Zeit wie die Zapatistas in Chiapas entwickelt hat und insgesamt sehr politisiert ist. Ich wollte eigentlich ein Interview mit denen machen, kannte aber die Band nicht gut genug. Ich hatte nicht mal auf dem Schirm, dass die beiden Jungs, mit denen ich dann doch gesprochen hab, die beiden Frontleute waren. War mir etwas peinlich, aber die schien das nicht zu stören oder sie waren professionell. Jedenfalls habe ich sie zur politischen Situation in Mexiko in Zusammenhang mit der Wahl gefragt. War etwas schwierig, weil sie ihr Englisch gern mit spanischen Wörtern würzten („into the lucha otra vez“). Aber jetzt hab ich, glaube ich alles rausgekriegt.

Alle Neune

Sie erzählten, dass kein Mexikaner so richtig hinter einem Kandidaten stehen würde, selbst der linke Kandidat Andrés Manuel López Obrador sei nur das geringere Übel. Den von der ehemaligen Staatspartei mit dem schönen Namen Partido Revolucionario Institucional (Partei der Institutionalisierten Revolution), die 70 Jahre lang regiert hat, will eh keiner mehr (hat aber noch ein Viertel aller Wählerstimmen bekommen). Wo bei Obrador auch eine PRI-Vergangenheit hat. Der wirtschaftsliberale Filipe Calderón von der jetzigen konservativen Regierungspartei Partido Acción Nacional de México sei natürlich am Schlimmsten, weil er allen Problemen mit einer harten Hand begegnen wolle. Als Lösung sehen sie Organisationen, in denen die Leute selbst an ihren Problemen arbeiten oder die Mobilisierung von so viel Leuten wie möglich, die Druck auf die Regierung ausüben. Davon haben sie sicher auch in der Show erzählt. Aber hat wie gesagt kaum jemand verstanden. Vielleicht schauen sich ja ein paar deren Seite an, hier und hier.

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