Mittwoch, August 02, 2006

"Ich kann froh sein, dass ich noch normal sprechen kann"

Manchmal holt einen das Leben ein und macht klar, was wirklich zentral ist. Gestern stand ich vor der Tür und grüßte einen vorbeikommenden Typ instinktiv. Kam mir irgendwo bekannt vor - das passiert andauernd. Dann erinnerte ich mich: der ehemalige Kollege M. Erst wollte ich nicht wahrhaben, was an ihm anders war. War er dicker geworden? Ein bisschen pummelig war er ja damals schon. Erst langsam wurde mir klar, dass er im Rollstuhl saß, mit Kopfstütze, einen Arm und ein Bein gelähmt. An der Kopfseite eine Delle und eine riesige Narbe. "Ich hatte eine spontane Hirnblutung. Drei Monate Koma.Seit zwei Jahren Reha und so." Er wirkte tapfer, aber eben das.

Ich fragte ihn, was er jetzt macht: "Ein bisschen mit dem Computer..." Ich habe ihn zum Moderieren eingeladen, was er früher auch gemacht hat. Würde er gern, aber das Logistikproblem. Erstmal überhaupt hier herzukommen, weil er kein Auto hat und es hier keine Hochbahnsteige gibt. Dann der ziemlich breite Rollstuhl, ob er damit aufs Klo kommt? Zudem kann er ihn mit einer Hand nicht allein bedienen. Muß immer jemand dabei sein. Ein Elektrorollstuhl ist beantragt, aber es ist fraglich, ob die Kasse das bezahlt. Auto aussichtslos. Früher gab es wenigstens dafür noch Zuschüsse. Für die Rollifahrerinnen, die ich kenne, ist es einfach essentiell für die individuelle Mobilität und weitgehende Unabhängigkeit von Anderen. Grundlegende Lebensqualität in einer Situation, in der wohl niemand freiwillig stecken möchte. Und Jobs haben viele Rollifahrer auch nicht, wie sollen sie sich selbst ein Auto zusammensparen?

Das Einzige was ich machen konnte war, ihn mal in seine alte Wirkungsstätte reinzuschieben (und dabei hab ich ihm versehentlich sogar noch weh getan). Und ihm sagen, dass er hier gern gesehen ist. Mehr war nicht drin - verdammt wenig, zu wenig.

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